«LÖSUNGEN, DIE WIR GERNE IN 30 JAHREN NOCH HÄTTEN» / TEIL 1

Interview von Susanna Knopp und Markus Wassmer mit Kilian Stauss - processform

„Jede Wohnung soll mindestens ein individuelles Merkmal aufweisen, das sie einmalig und speziell macht.“ So lauten die ersten zwei von zwölf Thesen zum Wohnungsbau von morgen*), die vor einigen Jahren in der Schweiz aufgestellt wurden. Dabei kann ein Wunsch auch derjenige nach besonderen Stauräumen sein.

Du unterrichtest an der Technischen Hochschule Rosenheim und untersuchst sehr interessant „Un-Zonen“, wie Du sie nennst, von Wohnungen als wichtiges Optimierungspotential in ästhetischer und funktionaler Hinsicht. Dazu gehören Hauswirtschaftsräume, Abstellkammern und Staumöglichkeiten, aber auch besondere Küchen- und Badräume. Welche Lösungsansätze habt Ihr dabei entwickelt?
*) Immo-Monitoring. Wohnungsmarkt / Herausgeber: Wüst & Partner, Zürich

Grundsätzlich ist es kein Geheimnis, dass die Kosten des Wohnens – egal ob Kauf oder Miete – schneller steigen als die Einkommen. Diese Schere geht seit mehreren Jahrzehnten auseinander und hat aktuell ein schon dramatisches Niveau erreicht. Dies bedeutet, dass wir – im Gegensatz zum Trend bis in die 1990er Jahre – pro Person immer weniger Wohnraum zur Verfügung haben werden. Wie können wir im Möbeldesign und in der Innenarchitektur darauf reagieren? Erstens durch die Entwicklung kompakterer Lösungen. Zweitens durch die Ertüchtigung ungenutzter Flächen und Räume. Drittens durch die Identifikation monofunktionaler, eher selten genutzter Flächen und das »Layering« von Funktionen in diesen Bereichen.

Ein Beispiel: In einem Forschungsprojekt für das Unternehmen Haefele haben mein Kollege Prof. Thorsten Ober und ich zusammen mit einem gemischten Team von Studierenden aus den Bachelorstudiengängen »Innenarchitektur« und »Holztechnik« ein Einzimmer-Appartment mit 25 qm so gestaltet, das ein zentrales Element im Raum verschoben werden kann. So kann im Tagesablauf die Wohnung »atmen«: Erst ist das Schlafzimmer groß, dann für das Frühstück die Küche, später die Arbeits- und Aufenthaltsbereiche und so weiter. Die jeweils nicht benötigten Verkehrsflächen wurden gespart und konnten den anderen Bereichen zugeschlagen werden. Der technische Aufwand war überschaubar, der funktionale und räumliche Gewinn gigantisch. Wir müssen »Möblierung« in Zukunft neu denken und eng mit den architektonischen Rahmenbedingungen abstimmen.

 

Du sprachst in „Public Design für die Energiewende“ darüber, wie sich der öffentliche Raum durch die multifunktionale Allverfügbarkeit der elektrischen Energie verändern wird. Stichworte: Mobilität, Aufladestellen und Parkmöglichkeiten. Dies ist auch eine städtebauliche Frage. Die Stadt und die Wohnung hängen typologisch eng zusammen. Wie werden sich der Entwurf und die Funktionen der Wohnung verändern müssen? Wie hängen „Public Design“ und „Private Design“ zusammen?

Der öffentliche Raum hat in Deutschland im letzten Jahrhundert an Stellenwert verloren, einerseits durch die bedingungslose Automatisierung der Städte, andererseits durch z.B. die privatwirtschaftliche Aneignung öffentlicher Gebäude und Flächen. Seien dies große Werbeflächen an Einrüstungen oder namentliche Umwidmung von Theatern, Universitäten oder Sport-Arenen. Früher gab es Flächen, die sowohl als gemeinsamer Besitz verstanden wurden als auch selbstverständlich von allen genutzt wurden. Dies kann der Dorfbrunnen gewesen sein, die Allmend-Wiese, der Stadtplatz oder die Festwiese. Die Elektrifizierung der Mobilität beinhaltet gerade durch die längeren Wartezyklen eine Chance: Es könnten im Gegensatz zu den unwirtlichen Mineralstoff-Tankstellen Orte mit Aufenthaltsqualität geschaffen werden, an denen neben dem Aufladen von Akkus Begegnungen stattfinden, Services angeboten und Waren eingekauft werden können. Neben diesen funktionalen Aspekten könnten es auch Orte kurz- oder mittelfristiger Erholung sein.

Wir wissen alle, dass Ladestationen für Elektroautos teuer sind und nicht jeder seine eigene Ladestation bekommen kann und wird. Wir werden also die Stationen teilen müssen und zugleich die Zeit an ihnen mit anderen teilen können, wie schön!

Eigentlich gibt es für mich keine Trennung zwischen »Public Design« und »Private Design«. Die unterschiedlichen Prozesse durchdringen den privaten und öffentlichen Raum vielfach, sind komplex und vielfach verflochten. Das Design stand idealerweise immer für Allgemeingültigkeit und so ist es auch hier. Die individuelle Lösung für eine spezifische Privatperson ist verhältnismäßig leicht, aber auch ebenso uninteressant. Wir erschaffen wir etwas, das uns allen hilft, im Privaten und im Öffentlichen? Hier liegen unsere Aufgaben.

 
 
Der Reiz des Rationellen
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